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Ideen. Das Buch Le Grand

Heinrich Heine

Genre
Roman

Verlag
Hofenberg

erschienen
2017 (1827)

Zielgruppe
Erwachsene

Titel der Übersetzung
Ideen. Das Buch Le Grand

26|06|21

Intellektuelle Waghalsigkeit

Nach 20 Jahren habe ich erneut Heinrich Heines Werk Ideen. Das Buch Le Grand zur Hand genommen; ein Buch, das ich früher schon mehrmals gelesen habe und das für mich mit meinen eigenen ‚wilden‘ und auch ungefestigten zwanziger Jahren verknüpft ist.
Es ist eine lange Liebeserklärung an die Frau seiner Träume und zugleich die Geschichte ihrer Zurückweisung, von der er ihr in Form eines virtuosen Textes berichtet, welcher, fast improvisiert und assoziativ klingend, wie ein mäandernder Fluss dahinfließt und in dem der Schmerz, zwar in andere Gewänder gehüllt, aber immer wieder in weiteren Situationen zum Vorschein tritt. Dieser Fluss führt ihn zurück in seine Jugend, zu seinen Jugendlieben, und in die Zeit, in der in seiner Heimatstadt Düsseldorf sich nach der Machtübernahme Napoleons alles wandelte, aber auch in die Zeit zurück, die ihn an seine Freundschaft mit dem französischen Tambour Le Grand erinnert, mit dem er sich nur trommelnd unterhalten konnte. Es ist ein sehr romantisches Werk, zuweilen vitalistisch, abwechselnd von nostalgischer Wehmut und dem vollen Auskosten des Lebens, der Liebe und der Poesie erfüllt; es geht darin auch um die Öffnung des Herzens, um den Schmerz gänzlich zuzulassen.
Zugleich ist dieses Werk aber auch ein gewitztes, nahezu postmodernes Spiel mit der Identität, das den Leser auf eine falsche Fährte lockt, ein in sich verschachteltes Verwirrspiel erfundener und sogleich wieder verworfener Episoden, von aufgeblasenen und zum Platzen gebrachter Ballons. Dies alles gespickt mit nüchterner Satire und Selbstironie, sehr selbstbewusst, manchmal auf irritierende Weise schwärmerisch, aber zuweilen auch zerbrechlich, schmerzvoll und ergreifend. Der Humor des 19. Jahrhundert mutet bisweilen ein wenig muffig an, aber man schmunzelt doch und bewundert Heines Geisteskraft und intellektuelle Waghalsigkeit. Und fällt dabei die Freizügigkeit auf, mit der alles und jeder – inklusive Christen, Juden und Moslems – auf die Schippe genommen wird, was sich offensichtlich im Preußen des Jahres 1826 als weniger problematisch als heute erwies?

Ein herrliches Buch, ein Geniestreich, virtuos auf Draufgängertum, Lebenslust und Inspiration treibend…

Lesetipp von
Benjamin Boutreur
Musiker, Komponist, Texter, Theatermacher