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Werke der Freiheit. Woyzeck, Lenz, Dantons Tod, Leonce und Lena

Georg Büchner

Genre
Drama

Verlag
S. Marix Verlag GmbH

erschienen
2013

Zielgruppe
Erwachsene

 

05|10|23

Wieviel Weiber hat man nötig

‚„(…) wieviel Weiber hat man nötig, um die Skala der Liebe auf und ab zu singen? Kaum daß eine einen Ton ausfüllt.“[1] Ich stimme dem zwar nicht zu, aber was für ein Prachtsatz! Der Mann, der ihn ausgesprochen hat, ist der deutsche Dramatiker Georg Büchner. Er starb so jung – mit 23 Jahren –, dass es ein Leichtes ist, sein Gesamtwerk zu erstehen, was ich dann auch als Student in Amsterdam gemacht habe.

Man ist versucht zu glauben, dass die von Büchner hinterlassenen Schriften – eine Handvoll Briefe und vier Bühnenstücke – wenig Abwechslung zu bieten haben, aber das stimmt keineswegs: Da ist einerseits das literarisch-pamphletistische Drama Dantons Tod, in dem Büchner die großen, politischen Gedanken anschneidet, also die Unterschiede zwischen links und rechts, die noch heute relevant sind, obschon der Kontext bei ihm der der Französischen Revolution ist. Es geht um die Frage, was man für die Freiheit aufzugeben bereit ist; sie ist genau das, wonach der Soldat Woyzeck in Büchners gleichnamigem, zweitem Bühnenstück nahezu urschreimäßig verlangt. Dass diese Frage ihn immer weiter in den Wahnsinn treibt, wird an seinen halluzinatorischen und zugleich hoch poetischen Worten „Eiskalt, die Hölle ist kalt“ ersichtlich.

Und dann gibt es da noch Leonce und Lena, mein Lieblingswerk von Büchner. Das sollten viel mehr Leute lesen, da es nur so strotzt vor Humor, Einfallsreichtum und fesselnden Figuren. Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, dass es sich nur um ein Märchen handelt, in dem ein Prinz und eine Prinzessin heiraten sollen, sich aber weigern und davonlaufen, sich dann zufällig begegnen und ineinander verlieben. Aber es steckt schon mehr hinter dieser Geschichte: Der Diener Valerio frönt dem Nichtstun und liegt den lieben, langen Tag im Gras herum, da das Leben doch keinen Sinn habe. Leonce pflichtet ihm nicht bei. Er trachtet danach, seinem vorbestimmten Schicksal zu entkommen, etwas zu unternehmen.

Ich verstehe sie beide und kann diese widersprüchlichen Tendenzen nachempfinden: einerseits das akzeptieren bzw. sich damit abfinden, dass das Leben nun mal so ist, wie es ist, und andererseits das innere Feuer bewahren, um weiter gegen das anzukämpfen, was schiefgeht. Aber wie lässt sich das kombinieren? Büchner stimuliert mich immer wieder dazu, dem Funken zur Veränderung nachzugehen. Deshalb möchte ich mit dem Spielen und Schreiben weitermachen, sei es auch nur, um für einen einzigen Menschen in der Welt jener kleine Katalysator für ein besseres Leben zu sein.‘


[1] Zitat aus: Leonce und Lena, 1836

Aufgezeichnet von Katrien Steyaert für dasKULTURforum Antwerpen.
Übersetzt von Sandra Karólyi.

Lesetipp von
Dimitri Leue
Schauspieler und Autor