Die Tochter russischer Emigranten in Deutschland Natascha Wodin schrieb einen faszinierenden Roman über Entfremdung. Sie verwendet eine gelungene Metapher für das Nachkriegsdeutschland: „Es war einmal eine gläserne Stadt. Da war alles aus Glas: die Häuser, die Straßen, sogar die Schuhe an den Füssen der Bewohner. Es war die sauberste Stadt der Welt. Alle liefen mit schneeweißen Tüchern herum und putzten, wischten, polierten den ganzen Tag. Kein Stäubchen, kein Hauch beschmutzten die gläserne Stadt.“
Als Tochter aus der Sowjetunion geflohener russischer „displaced persons“ wuchs Natascha in Flüchtlingsbaracken auf. Der Kampf mit den beiden Sprachen und Kulturen bestimmte ihr Leben. Die Katastrophe nimmt noch größere Ausmaße an, als sie sich in einen russischen Schriftsteller verliebt. Es ist Liebe auf den ersten Blick zwischen zwei Menschen, die als Übersetzer und Schriftsteller von Sprache und Literatur besessen sind. Sie zieht nach Moskau, wo sie mit einem der Privilegierten der Sowjetelite unter Breschnew eine leidenschaftliche, aber auch sehr anstrengende Liebesbeziehung unterhält. Der Kampf mit ihrem Geliebten und mit ihrem zweiten Vaterland ist ungleich und endet tragisch. Natascha Wodin wird ständig zwischen diesem russischen Chaos und der deutschen Ordnung und der ruhigen, aber etwas zu langweiligen Geborgenheit hin und her gerissen.
Dieser Zwiespalt, dieses Verlangen nach einer für sie verlorengegangenen Kultur wird im Roman besonders stark heraufbeschworen, in einer sorgfältig gewählten Sprache, mit überraschenden Metaphern, ohne auch nur eine Spur trivialer Ausdrucksweise.