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Kind aller Länder

Irmgard Keun

Genre
Roman

Verlag
Kiepenheuer & Witsch

erschienen
2016 (1938)

Zielgruppe
Erwachsene

01|02|24

Härte zwischen den Zeilen

,Ich bin mir nicht sicher, ob es sich dabei um eine Räuberpistole handelt, aber Irmgard Keun soll in den 1940er Jahren eine Falschmeldung in der Zeitung über ihren Selbstmord genutzt haben, um nach jahrelangem Exil unter neuem Namen nach Deutschland zurückzukehren. Mein Eindruck von allem, was ich von ihr und über sie gelesen habe, ist der einer krassen, interessante Frau. Und ihr Buch Kind aller Länder hat mich sehr ergriffen.

Das liegt zum Teil an der spezifischen Form: Wir folgen den Irrwegen eines zehnjährigen Mädchens ohne Pass, aus ihrer Perspektive. Die Geschichte wird nicht wirklich klar situiert, aber gerade das weckt meine Phantasie. Man spürt beim Lesen ohnehin diese Atmosphäre des Exils und der Migration. Keun selbst bildete am Vorabend des Zweiten Weltkriegs eine Art Gemeinschaft mit Stefan Zweig und Joseph Roth. Mit Letzterem hat sie eine Beziehung gehabt. Und es heißt, dass sie in diesem Roman mit ihrem Ex-Liebhaber abrechnet, wenngleich auf humoristische Weise, denn die Figur des Vaters ist ein erfolgloser, alkoholabhängiger Schriftsteller, ständig auf der Suche nach einem Verleger bzw. Geld.

Währenddessen versucht sich die Tochter mit der Situation irgendwie zu arrangieren, und gerade das berührt mich so. Sie müssen z.B. ständig umziehen, haben mal zu essen, mal nicht, aber das Kind registriert das einfach und zeigt sich als sehr widerstandsfähig. Als es die  Familie eines Tages nach Marseille verschlägt, erzählt das Mädchen, wie schön es sei, dass sie dort zum Strand können, während man als Erwachsener die Härte der Situation zwischen den Zeilen spürt.‘

Aufgezeichnet von Katrien Steyaert für dasKULTURforum Antwerpen.
Übersetzt von Isabel Hessel.

Lesetipp von
Kristien De Proost
Schauspielerin