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Die Verwandlung

Franz Kafka

Genre
Erzählung

Verlag
Reclam

erschienen
1995 (1915)

Zielgruppe
Erwachsene

Titel der Übersetzung
De gedaanteverwisseling

 

 

 

 

 

16|10|23

Geradezu visionär

‚Die vielen Burnouts heutzutage sind meiner Ansicht nach ein Zeichen dafür, dass etwas mit unserem System nicht stimmt und viele nicht gut darin funktionieren. Das macht Die Verwandlung, auch wenn sie 1915 erschienen ist, so relevant. Kafka war geradezu visionär mit seiner Geschichte über Gregor Samsa, der jeden Tag den Druck spürt, arbeiten gehen zu müssen, pünktlich zu sein, für eine Familie zu sorgen … Bis er eines Tages in einer anderen Gestalt erwacht. Er nennt es Ungeziefer und erkennt sich selbst nicht wieder. Das ist eine weitere Parallele zu heute, denn wir leben in einem ständigen Rush, laufen an uns selbst vorbei. Wenn man sich die sozialen Medien und Smartphones noch dazu denkt, hätte die Geschichte auch heute geschrieben sein können.

Diese aktuelle Bedeutungsebene habe ich erst neulich bemerkt, als ich das Buch wieder gelesen habe, was ich fast jedes Jahr tue. Als ich den Text im Deutschunterricht – bei einer großartigen Lehrerin – zum ersten Mal las, sah ich sie noch nicht. Wir mussten ein Stück daraus übersetzen, dabei habe ich richtig viel gelernt: neue Erkenntnisse, Humor, Sprachkraft. Ich würde Kafkas Stil nicht als nüchtern bezeichnen, dafür verwendet er zu viele Metaphern, das ändert jedoch nichts an der Klarheit. Jeder Satz ist mehrdeutig und klar.

Schließlich hört Gregor seine Familie sagen, es sei besser, er wäre tot – sie glauben fälschlicherweise, er verstehe sie nicht mehr – wonach er sich zu Tode hungert. Das sagt eine Menge aus über die Empfindsamkeit der Figur, aber auch die des Autors, scheint mir. Kafka lässt hier tief in seine Seele blicken. Sein Werk ist für mich zum Prüfstein geworden. Wenn ich über Gregor lese, denke ich automatisch über das nach, was mich selbst umtreibt. Und jedes Mal spüre ich wieder Kafkas Stärke. Dann ist klar: Das ist Weltliteratur.‘

Aufgezeichnet von Katrien Steyaert für dasKULTURforum Antwerpen.
Übersetzt von Isabel Hessel.

© Bart Koubaa

Lesetipp von
Laïla Koubaa
Autorin