lesen | Lesetipp

Buddenbrooks. Verfall einer Familie

Thomas Mann

Genre
Roman

Verlag
Fischer Verlag

Erschienen
1989 (1901)

Zielgruppe
Erwachsene

15|02|24

Generationenübergreifende Spannungen

‚Wie sind verschiedene Leben über den Stammbaum miteinander verbunden? Wo kommen wir her, wohin gehen wir? Das sind Fragen, die mich sowohl in meiner Praxis als Familientherapeut als auch in meinem persönlichen Leben immer wieder faszinieren. Das ist nur einer der vielen Gründe, weshalb ich Thomas Manns Buddenbrooks für ein so außergewöhnliches Buch halte.

Der Zauberberg – natürlich auch fantastisch – war für mich das Sprungbrett zu diesem Roman über den Kaufmann Johann Buddenbrook und dessen Nachkommen im 19. Jahrhundert. Mann beschreibt die generationenübergreifenden Spannungsverhältnisse innerhalb dieses verarmten Lübecker Familienclans so treffend, die übrigens denen in der Manns selbst sehr ähnlich sind. Ich habe im Nachhinein viel darüber gelesen, weil ich gerne in so ein Werk und Leben eintauche, z. B. auch, indem ich mir die Verfilmung der Buddenbrooks (von 2008, d. Red.) angesehen habe. So ein Wälzer hat natürlich den Vorteil, dass man sich tagelang darin vertiefen kann. Ich hatte mir den Roman bewusst für den Urlaub aufgehoben, damit ich ihn möglichst ununterbrochen genießen konnte.

Die unruhige Phase des Umbruchs, in der diese Geschichte spielt, der Übergang zur Moderne, hat mich sehr fasziniert, ebenso wie die Tatsache, dass Mann aus dem Lübecker Elternhaus eine Figur gemacht hat. Dank Google habe ich herausgefunden, dass man das Buddenbrooks-Haus heute noch besichtigen kann, auch wenn es sich dabei nicht um Manns Geburtshaus handelt, sondern um das zweite Haus der Familie, in dem seine Großmutter lebte, die er oft besuchte.

Ich muss es nicht unbedingt gesehen haben. Viel interessanter finde ich es, beim Lesen zu merken, wie sich der Autor in die verschiedenen Figuren aufgespalten hat. Denn er hat sowohl etwas von Johanns abenteuerlustigem Sohn als auch von seinem Bruder, der mehr den Erwartungen entspricht und das Familienunternehmen übernimmt. Gleichzeitig sind das auch Abspaltungen von mir, denn ich kann mich mit den verschiedenen Protagonisten identifizieren, egal wie widersprüchlich sie sind.

Genau das ist es, was Weltliteratur tut: eine Geschichte über spezifische Menschen in einer spezifischen Zeit und Kultur so nachfühlbar machen, dass es noch heute lesenswert ist. Deshalb empfehle ich Die Buddenbrooks oft an Leute in meinem Umfeld. Meine Frau z. B. liest es gerade. Wir unterhalten uns oft über Literatur und sind gelegentlich auch unterschiedlicher Meinung, aber Thomas Mann schätzt sie genauso sehr wie ich.‘

Aufgezeichnet von Katrien Steyaert für dasKULTURforum Antwerpen.
Übersetzt von Isabel Hessel.
Foto: © Kristof Ghyselinck.

Lesetipp von
Dirk De Wachter
Psychiater und Autor