lesen | Lesetipp

Im Westen nichts Neues

Erich Maria Remarque

Genre
Roman

Verlag
Bijleveld

Erschienen
2023 (1929)

Zielgruppe
Erwachsene

 

08|02|24

Die Bedeutung von Literatur

,Das erste Mal, dass ich die Bedeutung von Literatur spürte, war, als ich Im Westen nichts Neues las. Dahinter verbirgt sich eine erstaunliche Geschichte. Eines Tages sollte ich  in Ypern spielen. Unterwegs hielt ich kurz auf dem Seitenstreifen, weil die Toilette musste, als ich in einiger Entfernung auf einen Soldatenfriedhof aufmerksam wurde. Während ich dort umherging und die Namen auf den Gräbern las – achtzehn-, neunzehnjährige Jungs – begriff ich plötzlich: Ich hätte einer von ihnen sein können. Wenn man dann an Reinkarnation glaubt, kann einen das Gefühl überkommen, man stünde gerade an seinem eigenen Grab. Die Idee schien mir so cool, dass ich ein Stück darüber schreiben wollte.  

Um das zu tun, habe ich mich in den Ersten Weltkrieg eingearbeitet. Aber egal wie viele Sachbücher ich las, wie viele Fronten ich besuchte, ich spürte nicht am eigenen Leib, wie es gewesen sein muss, in einem Schützengraben zu stecken, zwischen Schlamm und Leichen. Bis ich Remarque las. Er war selbst ein paar Wochen an der Front und setzte v.a. die Erfahrungen seiner Kameraden, die länger dort blieben, um in einen Roman. Die Hauptfigur ist der Student Paul Bäumer, der an die Ostfront geht, anfänglich noch voller Enthusiasmus, bereit um für die Sache zu kämpfen. Doch er war schnell von dem Grauen und der Sinnlosigkeit des Krieges desillusioniert. Während eines Heimaturlaubs fand er nicht mehr ins normale Leben zurück.

Remarque beschreibt diese Komplexität in zunächst schlicht erscheinenden Episoden und dokumentarischer, als es in den französischen Romanen der Fall war, die ich über den Ersten Weltkrieg las. Reise ans Ende der Nacht, beispielsweise, das Louis-Ferdinand Céline drei Jahre nach Remarque veröffentlichte, beschreibt ebenfalls das Schicksal eines jungen Soldaten, aber auf eine andere Art, die eher an Herman Brusselmans avant la lettre erinnert. Zwar ist das Rebellische darin ebenfalls sehr interessant, aber wenn ich als Leser das Soldatenleben möglichst authentisch erleben will, muss ich Remarque lesen. Auch sein Buch Der Weg zurück, das er 1931 veröffentlichte, ist so treffend, dass man sich das nicht ausdenken kann. Nachdem ich über die deutschen Männer gelesen habe, die ihre Seele für das Vaterland hingegeben haben, aber nach 1918 in einem latenten Bürgerkrieg heimkehrten, ohne Anerkennung dafür zu bekommen, verstehe ich etwas mehr von dieser einschneidenden Periode, die im Grunde nicht zu verstehen ist.‘

Aufgezeichnet von Katrien Steyaert für dasKULTURforum Antwerpen.
Übersetzt von Isabel Hessel.

Lesetipp von
Peter De Graef
Theatermacher und Schauspieler