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Jeder stirbt für sich allein

Hans Fallada

Genre
Roman

Verlag
Cossee

erschienen
2012 (1947)

Zielgruppe
Erwachsene

Titel der Übersetzung
auf Niederländisch erschienen unter dem Titel Alleen in Berlijn und Ieder sterft in eenzaamheid

14|12|23

Der beste Roman über den deutschen Widerstand

‚Seit mich meine Frau vor ein paar Jahren darauf aufmerksam gemacht hat, lese ich bewusst mehr Werke von Schriftstellerinnen. Trotzdem möchte ich hier das Opus eines Mannes empfehlen, weil es mich sofort gefesselt hat. Wer einmal mit einem Buch von Hans Fallada angefangen hat, kann es nicht mehr aus der Hand legen, finde ich, denn seine Geschichten sind ausgesprochen schön. Sie handeln von strauchelnden Menschen, die mit dem Alkohol, dem Wahnsinn oder anderen Peinigern zu kämpfen haben und gleichzeitig dennoch so etwas wie eine Lust an diesem Dasein bewahren. Das berührt mich jedes Mal.

In Jeder stirbt für sich allein geht es um den Kern von etwas in mir, um das, worum es in meinen Lieblingsbüchern immer geht: Rebellion gegen alles, was festgefahren ist. In diesem Roman ist diese Rebellion sogar sehr poetisch, denn die Hauptfiguren – das ältere Ehepaar Anna und Otto – trauern um ihren Sohn, der zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gefallen ist, worauf sie das Führerregime in eigenhändig angefertigten Postkarten anprangern. Darauf schreiben sie jeweils eine schlichte Botschaft wie z.B. „Hitler lügt“ und legen sie in Treppenhäusern von Gebäuden oder Wohnblocks in ihrem Berliner Arbeiterviertel aus. Keine groß angelegte Aktion also, und doch reagiert das Regime sehr heftig darauf. Die Justiz fängt an, wie verrückt nach einem vermuteten, unterirdischen Netzwerk zu fahnden, obwohl an der Aktion nur zwei einfache, trauernde Bürger beteiligt sind. Herrlich!

Außerdem hat mir das Buch einen Einblick in ein Kapitel der Geschichte gegeben, das ich nicht so gut kannte: das Leben in Deutschland während des Nationalsozialismus. Beim Lesen stellt man fest, dass offensichtlich eine Menge gestörte, merkwürdige Leute am Werk waren, dass aber keineswegs alle Deutschen schlecht waren. Auch innerhalb der eigenen Bevölkerung herrschte viel Unterdrückung. Dieses Gespür für Nuancen und Mitgefühl erinnert mich an Primo Levi, der mit Ist das ein Mensch? und Die Atempause ebenso unglaubliche Bücher über den Zweiten Weltkrieg geschrieben hat. Sein Bericht über seinen Aufenthalt in Auschwitz zeigt, dass es natürlich egoistische Leute gegeben hat – die Menschen wollten ja überleben – aber sicherlich auch Mitgefühl und Liebe.

Angeblich hat Levi das Buch Jeder stirbt für sich allein als „den besten Roman über den deutschen Widerstand“ bezeichnet. Ich glaube ihm und habe sofort damit begonnen, vier, fünf weitere Bücher von Fallada zu lesen. Aus seiner Biografie erfuhr ich, dass er selbst unter dem Faschismus zu leiden und mit vielen Dämonen zu kämpfen hatte. In der Irrenanstalt, in der er eine Zeit lang war, schrieb er sein Leben mit all seinen Missgeschicken auf, aber so klein, dass die Wärter ihm nicht auf die Schliche gekommen sind. Zum Glück stand Fallada die Gabe der Sprache zur Verfügung, dank derer er die Gräuel in Worte zu fassen vermochte, um damit besser zurechtzukommen. Schreibenderweise nützte Fallada nicht nur sich selbst, sondern auch uns, die wir dank seiner Bücher die Welt wieder ein wenig besser verstehen und versuchen können, sie zurechtzurücken.‘

Aufgezeichnet von Katrien Steyaert für dasKULTURforum Antwerpen.
Übersetzt von Sandra Karólyi.

Lesetipp von
Johan Petit
Theatermacher