Sie wollte, dass ich über sie eine Geschichte schreibe. Hast du mit der Geschichte nun endlich angefangen, fragte sie mich, als sie schon über 100 war. Aber wie sollte ich über sie schreiben, als sie noch lebte.
Nach dem Tod der Mutter schreibt Helga Schubert allerdings. Sie schreibt in Miniaturen über ihr Leben, das ihrer Mutter, ihres Vaters, ihrer Großeltern. Sie schreibt über die fehlende Kindheit, das Leben und den Alltag in der DDR und die Bespitzelung durch die Stasi. Sie schreibt über den Mauerfall und ihre Arbeit. Und immer wieder übers Aufstehen in verschiedensten Formen.
Sie schreibt über all das in Ichform, nennt sich selbst häufig „die Tochter meiner Mutter“ und unterstreicht so die Distanz. Ihr Sprache ist klar und konzentriert und alles andere als behäbig.
Es ist das Leben einer Frau, die zurückblickt und Dinge benennt, die man wohl erst im Alter richtig einordnen kann, denen man aber schon sehr viel früher Raum geben muss. Wichtig ist, so schreibt sie, dass man schließlich einen Schatz in sich vergräbt, auf den man immer wieder zurückgreifen kann. Dann ist „alles gut“. Helga Schubert war für viele wohl die Entdeckung beim Wettlesen um den Bachmannpreis 2020. Dass sie den Preis gewonnen hat, war die fehlende Perle in dieser Biographie. Dass Teile dieser Biographie jetzt in „Vom Aufstehen – Ein Leben in Geschichten“ nachzulesen sind, ist wiederum eine Perle für uns.
Zita Bereuter, orf.at